Nationalfeiertag. Lipizzaner. Mozartkugeln. Fahnen. Und putschlustige Bürger: vergessen wir für einen winzigen Moment alles, was wir glauben über Steuern, Steuerarten, die Umverteilungswirkung der Steuerprogression etc. etc. zu wissen glauben. Machen wir uns für diesen einen Tag frei, ganz frei über die Konsequenzen eines radikalen Vorschlags nachzudenken. Und das geht so: wir schaffen alle, restlos alle Steuern, Abgaben, Beiträge etc. etc. samt allen ihren abertausenden Ausnahmen, Anwendungsregeln und Detailbestimmungen ab. Ab damit in den Mistkübel der Geschichte und tschüss.
Ok. Alle Steuern bis auf eine: die Mehrwertsteuer auf nicht unmittelbar lebensnotwendige Waren und Dienstleistungen. Was unmittelbar lebensnotwendig ist, würden wir natürlich demokratisch festlegen, aber sagen wir einfach mal: Grundnahrungsmittel, Wohnraum von 25m2 pro Kopf samt dem Energiebedarf dafür, Gesundheitsversorgung, öffentlicher Verkehr, spartanische Bekleidung. Ich denke, es ist ungefähr klar, was ich meine. Der Teufel liegt im Detail aber genau dieses interessiert mich im Moment rein gar nicht. Mir gehts nur ums Geld. Ja, ums ganze, selbstverständlich.
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Wie hoch müsste überschlagsmässig eine solche Mehrwertsteuer “auf-alles-andere” sein, um das Steueraufkommen des Staates in etwa gleich hoch zu halten wie bisher? Nun ja, mit einer sehr groben 10 Sekunden Milchmädchenrechnung (mehr Zeit will ich nicht investieren) komme ich auf gute 200%. Wumm-zack, aber ok. Ich gehe dabei davon aus, dass – Bauchgefühl – rund 50% der Wirtschaftsleistung für obengenannte Leistungen völlig steuerfrei erwirtschaftet und vertrieben würden, wohingegen die Mehrwertsteuern auf die restlichen 50% der Wirtschaftsleistung ganz allein die derzeitige Staatsquote von rund 40% finanzieren müssen. Vielleicht fühlt sich jemand dazu berufen, eine genauere Schätzung oder gar Rechnung zu versuchen. Übrigens: 200% klingen jetzt etwas brutaler als sie eigentlich sind. Man muss sich dazu daran erinnern, dass der Mehrwertsteuersatz “von der Bemessungsbasis hinauf” rechnet, und nicht hinunter so wie zB die Einkommensteuer. So gesehen entsprächen 200% MwSt auf alle nicht direkt lebensnotwendigen Güter rechnerisch also in etwa einem Einkommensteuersatz von 66% auf sehr hohe Einkommen.
Wie auch immer man das genauer rechnet, es kommt ein für heutiges Denken hoher Steuersatz “auf-alles-andere” heraus – aber: jede solche Rechnung wird trotzdem immer nur eine vergleichsweise “statische” Betrachtungsweise auf Basis des uns bekannten Status Quo darstellen. Dumm dabei: statisch bliebe nach diesem Steuerputsch dann kaum mehr etwas. Hier ein paar der Konsequenzen, die ich persönlich mir erwarten würde (nicht wundern, ich quatsche immer gerne dazwischen, wenn ich was zu sagen habe):
- Der ganze Sektor der Steuer- und Abgabenbürokratie, der privaten Steuerberater, teils auch der Lohnverrechner, Buchhalterinnen und Buchhalter schrumpft auf 10% des heutigen Stands.
Nachvollziehbar. Und würde einiges an Wirtschaftspotential freilegen, das in produktive Tätigkeiten fliessen könnte.
- Die Finanzverwaltungskosten der Unternehmen schrumpfen auf ein Drittel des heutigen Stands.
Mmh…, ja. Steht ja auch im Zusammenhang mit dem ersten Punkt.
- Die Nettopreise sinken massiv.
Die Preise sinken massiv? Mmh, ja, solange damit zunächst die Nettopreise gemeint sind, also die Preise vor Aufschlag der Mehrwertsteuer, weil ja dann in diesen nackten Preisen im Gegensatz zu heute gar keine Steuern und Abgaben mehr stecken. Denn ausser der Mehrwertsteuer “auf-alles-andere” gibt es keine Abgabenlasten mehr… wir müssen uns nur klar machen, dass heute in jedem Nettopreis, also vor Aufschlag der Mehrwertsteuer schon jede Menge auf Kunden überwälzte Steuern stecken… kann auch gar nicht anders sein, schlussendlich sind Unternehmen entgegen so mancher politischer Illusionen von ihrer Natur her nicht so wirklich besteuerbar: sie bringen entweder alle ihre Kosten in den Preisen ihrer Produkte unter – oder gehen selber unter. Kosten, die für alle Unternehmen gleichmässig entstehen (zB Steuern und Abgaben) landen immer in den Preisen.
- Österreichs Wirtschaft wird über Nacht zum Exportweltmeister und weiss sich vor Auslandsaufträgen kaum mehr zu retten.
Jetzt wirds ja immer bunter… aber eigentlich keineswegs komplizierter: die gesunkenen Nettopreise sind ja gleichzeitig auch die Exportpreise.
- Die Bruttokosten für Arbeit sinken massiv. In Österreich entstehen – quasi mitten in der Krise – neue Arbeitsplätze in Hülle und Fülle.
Naja, das macht mich nun alles sehr skeptisch… klingt zu gut. Aber wir reden tatsächlich immer noch von derselben einfachen Massnahme, es ist immer noch nicht komplizierter: alle Steuern und Abgaben auf Arbeit sind ja ebenso weggefallen… wo ist der Haken, verdammt?
- Die internationale Finanzwirtschaft erklärt Österreich zum Investitions- und Wirtschaftsstandort #1. Freies Investitionskapital schiesst in Strömen ins Land. Die Geldspeicher schiessen sozusagen wie die Pilze in den Himmel. Wien wird in Entenhausen umbenannt.
Gedanklich nun fast schon banal… denn es gibt ja nicht nur keinerlei Kapitalsteuern mehr, sondern vor allem traumhaft schlanke Kostenstrukturen für Verwaltungskram und den Faktor Arbeit und die Möglichkeit die hier produzierten Waren zu diesen “reinen”, nicht abgabenbelasteten Nettopreisen wieder zu exportieren…
- Die Nettolöhne steigen. Ein durchschnittlicher Konsument kann sich insgesamt vorerst aber nur in etwa dasselbe leisten wie zuvor, allerdings auch nicht ganz dieselben Produkte.
Die Einkommensteuer ist weg. Der alte Bruttolohn ist der neue Nettolohn. Es gilt nun aber die Faustregel: wesentlich mehr im Börsel für Steuerfreies, weniger für den “Luxus”. Öfter mal einen Schweinsbraten mit Semmelknödel, am Wochenende vielleicht mal mit der Bahn ins Grüne, weniger oft ein neues Auto, vom Elektronikspielzeug nicht mehr jeden Krempel gleich kaufen, sondern besser 1x nachdenken vorher oder überhaupt die Oma im steuerfrei topsanierten Pflegeheim besuchen. Denn betrachten wir jetzt mal die Bruttopreise. Für die lebensnotwendigen Güter gilt: brutto ist netto, es gibt keine Steuern. Die gesunkenen Nettopreise der lebensnotwendigen Güter sind gleichzeitig ihre Bruttopreise. Also gesunkene Bruttopreise. Für “alles-andere”, nennen wir es an dieser Stelle einfach mal “Luxus”, gilt genau das umgekehrte. Auch hier sind die Nettopreise zwar gesunken, der Effekt wird durch die nun echt hohe Inlandsmehrwertsteuer auf Luxusgüter aber mehr als überkompensiert. Man kann sich entsprechend weniger von ihnen leisten, so man in diesem Wirtschaftswunderland leben bleiben will, zB weil man davon überzeugt ist, dass es nun eigentlich nur noch eine Frage kurzer Zeit sein kann, bis die enorm anspringende Konjunktur…
- Wissenschaftler stellen fest, dass das neue Steuersystem des Alpenlandes die einkommensschwachen Gruppen in der Praxis wesentlich stärker entlastet als das alte.
- Die Sparquote steigt, die eigene Vorsorge für Notfälle wird leichter.
- Es werden nicht nur mithilfe ausländischen Kapitals, sondern auch von immer mehr Österreichern neue Unternehmen gegründet.
- Für Familien ist Österreich ebenfalls das Paradies auf Erden. Und das ohne dass eine einzige zusätzliche Umverteilungsmassnahme administriert werden müsste.
- Österreichs Tourismuswirtschaft stöhnt massiv.
Man bedenke: der gesamte Staat wird nun über den “Luxuskonsum im Inland” finanziert. Österreich muss in Lichtgeschwindigkeit vom Bierausschenker zum Hochtechnologiestandort für die kapital- und arbeitsintensivsten Branchen der Welt transformieren. Und ist gut beraten seine durch diesen Standortboom trotzdem steigenden Steuereinnahmen unmittelbar in seine Infrastruktur zu investieren um das teure Pflaster Österreich gleichzeitig zum lebenswertesten Pflaster der Welt zu machen. Zu einem Ort, an dem die Wohlhabenden der Welt trotz (oder auch gerade wegen?) der horrenden Hotel- und Boutiquenpreise gerne ihr Geld lassen. Um mit ihren Luxusausgaben solange unseren Staat zu finanzieren, bis uns alle anderen unseren grössten Coup der Geschichte nachgemacht haben werden.
- Österreich hat eine Methode die Gesamthöhe seiner Sozialquote wieder wesentlich verstärkt selbst zu bestimmen. Uns Österreichern wird daher 20 Jahre nach unserem Coup die Ehre überlassen, die sogenannte Globalisierung mit einem Schlag auf den grossen UNO Gong für erfolgreich abgeschlossen zu erklären.
Hat natürlich was. Man lässt über Mehrwertsteuern den Staat genau diejenigen bezahlen, die wirklich gut in ihm leben und konsumieren (ob legal oder illegal, ob zeitweise oder dauernd). Unter globalisierten Bedingungen wesentlich unproblematischer als wie derzeit zu versuchen einen Gutteil der eigenen Sozialkosten über überhöhte Nettoexportpreise auf ausländische Kunden abzuwälzen… das könnte dem Standortkampf durchaus zumindest die ruinöseste Spitze nehmen.
Das schaffen wir nun ganz alleine zu erklären, sobald wir die Sache mit den gesunkenen Bruttopreisen für lebensnotwendige Güter bedacht haben… heute tragen die sog. einkommensschwachen Gruppen den Staat wesentlich stärker mit als sie sich selbst bewusst machen. Sie zahlen zwar keine Einkommensteuer, aber Sozialversicherungsbeiträge, Mehrwertsteuern auf Mieten und Lebensmittel und last not least jede Menge überwälzte Unternehmensabgaben, die heute in den Nettopreisen für all diese Dinge versteckt sind.
Simpel! Ich zahle ja keine Einkommensteuer mehr und solange ich mein Geld nicht ausgebe habe ich mehr. Erst beim Ausgeben zahle ich meinen Obolus für den Staat… es sei denn ich brauche das Geld später für lebensnotwendige Dinge wie Altenpflege, denn die gibts ja steuerfrei!
Hurra! Plötzlich wird alles immer einfacher. Wir können leichter sparen. Und haben auch grösseren Anreiz dazu. Denn solange wir unser Geld nicht direkt im Luxuskonsum verpulvern, sondern zB später mal ein Unternehmen damit gründen nimmt es uns auch niemand weg… Österreich: ein kleines Unternehmerparadies.
Moment, wie kann das nun sein? Nein, eh wieder einfach: Wer immer jede Menge Geld für die als lebensnotwendig deklarierten Güter braucht, der hats auch leichter. Denn mehr Mäuler essen eben mehr, brauchen mehr Platz, verbrauchen mehr Energie, müssen zur Frau Doktor etc etc. Alles von A-Z steuerfrei. Die Familienkutsche kostet allerdings deutlichst mehr als vorher, aber vielleicht tuts ein vorher bereits gebrauchter Firmenwagen ja eigentlich auch…? Der politische Druck in Richtung Ausbau des öffentlichen Verkehrs steigt.
Übrigens: weder können wir Österreicher, noch wollen wir Österreicher, noch müssen wir Österreicher und -innen so radikal sein und gleich steuerputschen. Und die hier präsentierte Extremvariante dient vor allem dem Nachdenken und ist wohl auch als Endausbaustufe gar nicht so wünschenswert. An der Mehrwertsteuerschraube lässt sich aber eben auch ganz langsam drehen. Mehrwertsteuern für Luxusgüter rauf. Alle anderen Abgaben runter. Das nennt sich dann Steuerevolution statt -revolution. Nationalfeiertag und die österreichisch konsensuale Nationalseele sind also gerettet. Prost! Und Mahlzeit.
(Dieser Gedanke wurde inspiriert durch die Lektüre diversester Texte der Herren Benediktus Hardorp, Wolf Lotter, Götz Werner und wurde von mir formlos weitergesponnen. Für jedwede Form wissenschaftlicher und sonstiger Seriosität fehlt mir die Zeit.)